Realsatire statt Risikokommunikation bei Infoveranstaltung des Bürgerdialog Stromnetz zum Thema „Elektromagnetische Felder und Stromnetze“
Wie bringt man renitenten Trassengegnern bei, dass vom Stromnetzausbau keine gesundheitlichen Gefahren ausgehen? Ein Bundesamt muss die Bürgerinnen und Bürger schützen. Eine aktuelle Veranstaltung in Weiden am 22. Oktober 2019 zeigt jedoch: Es werden keine differenzierten Aussagen zu Gleichstromtrassen getroffen, keine Messwerte der magnetischen Felder geliefert, und man arbeitet mit uralten Diagrammen von Wechselstrom-Erdkabeln aus dem Jahr 2010: So geht keine Aufklärung zu dem wichtigen Thema Gesundheit. Stattdessen wird hartnäckig versucht, den massiven Netzausbau als alternativlosen Teil der Energiewende zu verkaufen – Greenwashing im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums.
Das Thema „Risikokommunikation“ stellt beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) einen Forschungsschwerpunkt dar. Dazu werden Fachgespräche geführt, es wird um geeignete Methoden und Formulierungen gerungen, wie man die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen und die Betroffenen „mitnehmen“ könne beim für die Energiewende angeblich notwendigen Netzausbau. In enger Zusammenarbeit mit dem Bürgerdialog Stromnetz (BDS) wird der Ausbau des Stromnetzes auf Schautafeln und in Infobroschüren als grundlegendes Element der Energiewende dargestellt.
Glaubwürdigkeitslücke
Für die möglichen Gefahren durch Gleichstromtrassen stellte die Strahlenschutzkommission (SSK) schon 2013 fest: „Die Angabe von belastbaren Schwellenwerten für Wahrnehmungs‑, Belästigungs‑, Schmerz- und Gefährdungseffekte ist im Hinblick auf die begrenzte Datenlage, insbesondere hinsichtlich der Anzahl der untersuchten Personen und der Einflüsse von Kofaktoren wie z.B. Ionendichte, derzeit nicht möglich. Die SSK empfiehlt daher die Durchführung weiterer Forschungsprojekte zur Wahrnehmung vor allem in Form von Humanstudien unter gut kontrollierten Bedingungen.“ (hier)
Das BfS ist jedoch seit dem Startschuss 2017 für das Forschungsprogramm zum Stromnetzausbau erkennbar nicht vorangekommen. Die Folien der Referenten bringen keine Ergebnisse aktueller Studien, sondern haben denselben Infogehalt wie die Website des Bundesamtes. Auf Nachfrage wird bestätigt, dass die Studien nicht vor 2030 fertig sein werden und die Ergebnisse kaum Auswirkungen auf die aktuellen Netzausbau-Planungen haben werden.
Deshalb kommt es, wie es kommen muss: Der Bürgerdialog Stromnetz landet nicht zum ersten Mal im „Infoveranstaltungs-Crash“. Die Situation ist ausweglos. Wie präsentiert man Trassen-Pläne als gesundheitlich unbedenklich, die aus ganz anderen Gründen als dem Thema Gesundheitsschutz (die Energiewende ist dezentral, der Netzausbau wird als unnötig betrachtet) abgelehnt werden und für die es nur unzureichende Forschungsergebnisse gibt? Die Einschätzung des ehemaligen BfS-Chefs Wolfram König von 2016 trifft immer noch den Kern des Problems: “Das sind auch die Ergebnisse aus unseren Veranstaltungen, da stoßen wir schnell an Grenzen, wir versuchen deutlich zu machen, wo wir unseren Erkenntnisstand haben. Die Risiken sind sehr relative Risiken, aber wir können solche Ergebnisse nicht verschweigen. Sie werden dann von anderen problematisiert, und dann sind wir in einer Glaubwürdigkeits-Lücke, die uns eventuell ganz andere Schwierigkeiten bereitet.” (siehe Stromautobahn.de: „Bankrotterklärung für den Gesundheitsschutz beim Netzausbau“)
Magnetfelder über dem Grenzwert?
Ein auf einer Schautafel angepinntes Diagramm eines Erdkabel-Magnetfeldes fällt bei der Veranstaltung dadurch auf, dass es nicht gerade brandaktuell, sondern vom November 2010 ist. Auch auf Nachfrage wird die zugrunde liegende Stromstärke nicht genannt. Eine nachträgliche Überprüfung ergibt 1380 Ampere. Hochgerechnet auf das für den Südostlink geplante 520kV-System wären das bei 3846 Ampere für ein 2 GW-Kabel 446 Mikrotesla (µT) in der Höhe von 20 Zentimetern über dem Erdboden. In Erdbodenhöhe wären das 505 Mikrotesla und damit über dem in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) festgelegten Grenzwert von 500 Mikrotesla.
Bauchlandung bei der Mediation
Dass die Wahrnehmung der Betroffenen nicht den wissenschaftlichen Standards der Referenten genügt, wird während der Diskussion offensichtlich – das muss sie jedoch auch nicht, denn das ist nicht die Pflicht der Betroffenen. Mit den Sorgen der Menschen korrekt umzugehen ist jedoch genau die Aufgabe der eigens dafür angestellten Mediatoren, Referenten und Moderatoren. Diese stoßen jedoch bei der Veranstaltung in Weiden erkennbar an ihre Grenzen und zeigen sich wenig professionell.
Ein BI-Mitglied kritisiert zu Recht die sehr verschwommenen Formulierungen zu den möglichen Gesundheitsrisiken, die klar aufzeigen, dass es Wissenslücken gibt: „Ihre Aussagen sind aber alles andere als überzeugend und beruhigend!“ – Antwort Mediator vom BDS: „Ja, wenn Sie trotzdem Angst haben, dann ist das halt so!“
Der Fachmann für elektromagnetische Felder reagiert empfindlich auf die Einwände der Zuhörerschaft: „Ich schlage mir hier meine Freizeit um die Ohren, nur um mir Ihre Statements anhören zu müssen! Sie sind auf der falschen Veranstaltung, denn sie argumentieren politisch! Ich bin nicht für die Leute da, die mit gelben Warnwesten protestieren, sondern um die Bürger zu informieren, die Fragen haben!“ Eine auch nur annähernd bemerkenswerte Anzahl von Bürgern, die keiner Bürgerinitiative angehörten, gab es in Weiden jedoch nicht. Neben Trassengegnern sind die übrigen Zuhörer erkennbar der Kommunalpolitik und –verwaltung zuzurechnen, auch eine Tennet-Vertreterin sitzt in der letzten Reihe und hört zu. Aber diese Teilnehmer stellen keine Fragen und gehören nicht zum Kreis der Betroffenen.
„Fachwissen“ für Landwirte
Auch „Naturschutz und Technik“ sollen laut Programmankündigung einen Schwerpunkt der Veranstaltung bilden. Symptomatisch für das Niveau der Antworten ist dieser Schlagabtausch:
Frage von Landwirt Hubert Meiler: „Was passiert mit den Kleinstlebewesen im Boden? Die gesamte Natur reagiert auf Magnetfelder! Dazu habe ich überhaupt keine Studien gefunden.“ Antwort der Referentin des Bundesamtes für Strahlenschutz: Doch, es gebe durchaus Studien, die beziehen sich hauptsächlich auf HGÜ-Seekabel. Wie die Lebewesen im Meer darauf reagieren? In den Augen der Fachleute vom Bürgerdialog Stromnetz muss man das entspannt sehen: „Nun ja, die Fische scheinen da schon drauf zu reagieren. Die sind dann ein wenig verwirrt in der Nähe von einer großen Leitung, die schwimmen dann weg.“ Antwort Hubert Meiler: „Ja, die Kleinstlebewesen in der Erde können aber nicht wegschwimmen!“
Laut Info eines BDS-Mitarbeiters ist Ende des Jahres Schluss mit dem „Bürgerdialog Stromnetz“. Das ist kein Verlust. Eine Greenwashing-Einrichtung auf Kosten der Steuerzahler weniger.
dh/27.10.2019