Wer dieser Tage zufällig im Internet den Netzentwicklungsplan aufrief, fand folgende Mitteilung vom 14.07.2014 – 17:45Uhr
Veröffentlichung Sensitivitätsbetrachtung „CO2-Preis“
Ergänzend zum Sensitivitätenbericht „Deckelung Offshore“ (Sensitivität 1) und „Einspeisemanagement“ (Sensitivität 2) haben die vier Übertragungsnetzbetreiber heute eine dritte Sensitivitätsbetrachtung veröffentlicht. Darin werden die Auswirkungen eines deutlich erhöhten Preises für CO2‑Emissionszertifikate auf Basis des Szenarios A 2024 betrachtet.
Wir erinnern uns: Bis zum 28.05.2014 durften interessierte Bürger den Netzentwicklungsplan (NEP) 2014 konsultieren, d.h. Einwendungen zu dem 400 Seiten dicken Werk abgeben. Wer dies verpasste, lief Gefahr, beim weiteren Verfahren des Stromnetzausbaus und Stromnetzneubaus nicht mehr beteiligt zu sein. Danach kam die Veröffentlichung des Szenariorahmens der ÜNB. Auch hier hatte der Bürger Gelegenheit, sich durch Konsultationen zu beteiligen, und zwar bis zum 23.06.2014. Der Szenariorahmen hatte einen Umfang von nur noch 80 Seiten.
Aber aller guten Dinge sind drei:
Die ÜNB haben zusätzlich „Sensitivitätsbetrachtungen“ angestellt. Bis zum 31.07.2014 haben interessierte Bürger noch die Möglichkeit, den dritten Sensitivitätenbericht zu kommentieren.
Der genannte Sensitivitätenbericht (3) baut auf dem oben genannten Szenariorahmen auf. In diesem wurden Szenarien entworfen, die beschreiben, wie die Energielandschaft im Jahr 2024 aussehen könnte, wenn bestimmte Rahmenbedingungen zugrunde gelegt werden. Diese Rahmenbedingungen können z. B. sein: Zuwachs an Windenergie um 25%, Zuwachs an Sonnenenergie um 15% und Wegfall der Atomkraftwerke. Die Zahlen dieser Zuwächse in den Szenarien sind aber nicht feststehend, es handelt sich lediglich um Prognosen und Schätzungen, die sehr spekulativ sind.
Im Sensitivitätenbericht (3) haben die ÜNB die Auswirkungen eines höheren Preises für CO2-Emissionszertifikate auf der Basis des oben genannten Szenarios untersucht. Man ging von einem Preisanstieg für die Zertifikate von 29 Euro/t auf 93 Euro/t aus (1).
Danach führte man eine vollständige Marktsimulation durch und bewertete die Auswirkungen auf die Stromübertragungsnetze indikativ und nicht mehr maßnahmenscharf.
Zur Einordnung: Der Preis für CO2-Emissionszertifikate in Europa liegt seit etwa drei Jahren unterhalb von 10 €/t und beträgt aktuell 5 bis 6 €/t.
Die einzelnen Begriffe
- Was sind „Sensitivitäten“?
Sensitivitäten sind Parameter oder Kenngrößen. Hier werden Einflussgrößen auf die Netzentwicklung betrachtet
- Was sind „CO2 Emissionszertifikate?“
CO2-Emissionszertifikate werden an der Energiebörse gehandelt und sollten eigentlich zusätzliche Luftverschmutzung sanktionieren. Das funktionierte aber von Anfang an nicht, denn sie wurden vor Handelsbeginn gratis auf den europäischen Energiemarkt geworfen. So ist ein Preisverfall eingetreten und deshalb sind CO2-Verschmutzungsrechte, die in den Zertifikaten enthalten sind, so günstig zu erwerben. Das wiederum begünstigt die Braunkohleverstromung und führte 2013 zu einem nie dagewesenen Braunkohleboom.
(1) Dieser Wert entspricht dem im Ten Year Network Development Plan 2014 (TYNDP) von ENTSO‑E in der Vision 3 und 4 (erhöhte Klimaschutzziele) angesetzten Preis für CO2-Emissionszertifikate.
- Was heißt „maßnahmenscharf“?
Google findet kein Lexikon, in welchem der Begriff erläutert ist. Es gibt lediglich Texte, in denen er verwendet wird, wie /EG weist nicht die Verpflichtung aus, dass die öffentliche Hand maßnahmenscharf die Erfüllung oder Ausnahme nach dem Gesetzentwurf veröffentlichen muss. https://www.umwelt-online.de/cgi-bin/parser/Drucksachen/brsuche.cgi?such=ma%DFnahmenscharf%20die&id=recht
- Was heißt „indikativ“?
im Duden online: indikativ
Wortart: Adjektiv Gebrauch:Wirtschaft
Bedeutungen und Beispiele a) nicht verbindlich
Beispiel: indikative Angebote der Investoren;
Wie soll ein halbwegs intelligenter jedoch in Wirtschafts- und Finanzsprache nicht erfahrener Bürger diese Sätze verstehen, wenn nicht einmal ein Lexikon Auskunft geben kann?
Wie soll er dazu Kommentare abgeben, die in die Betrachtungen der ÜNB einfließen können?
Insgesamt sind bis heute (21.07.2014) 4 (in Worten vier) Kommentare eingegangen, davon wurden 2 veröffentlicht.
„Kommentieren“ ist hier nicht einmal so viel wert wie „Konsultieren“. Es steht fest, dass es sich bei der Bürgerbeteiligung zum aktuellen Sensitivitätenbericht erst recht um eine Art Alibiverfahren handelt, denn die abgegebenen Kommentare werden nicht in den Entwurf eingearbeitet, sondern in einer „Dialogveranstaltung“ vorgestellt und erörtert.
Betrachtet man die Annahmen selbst, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Preis für ein CO2-Emissionszertifikat in den nächsten zehn Jahren um mehr als das Zehnfache ansteigt, also von derzeit 6 Euro auf dann 93 Euro. Da wird schon die Kohlelobby, auch die im europäischen Ausland, vor sein und ihre Pfründe verteidigen.
Zudem ist der Preis ja in den vergangenen 3 Jahren unter 10 Euro gefallen.
Wie bei den vorangegangenen Konsultationsverfahren zu den von allen ÜNB erarbeiteten Plänen offenbart sich auch beim aktuellen Verfahren ein großer Missstand: Mit verklausulierten Texten, Wortschöpfungen, die so in keinem Lexikon erklärt sind und einer Anzahl von fiktiven Berechnungen verschleiern die ÜNB mehr, als sie offenlegen. Zudem gehen sie von teilweise unrealistischen Szenarien aus. Allein der Begriff „Szenario“ erinnert an „Inszenierung“ und die wird im Theater gemacht.
Ein schönes Theater, was die ÜNB da veranstalten.
Der Bericht ist ersichtlich unter: www.netzentwicklungsplan.de/ver%C3%B6ffentlichung-sensitivit%C3%A4tsbetrachtung-%E2%80%9Eco2-preis%E2%80%9C
Bilder: © XtravaganT – Fotolia.com
Hallo Herr Ambross,
ich teile Ihre Einschätzung, dass eine Stellungnahme zu diesem Papier der ÜNB nicht zielführend ist:
1. Die Sensitivitäten sind sozusagen die Stellschrauben, die die Simulation der Netzentwicklungspläne beeinflussen. Es gibt aber noch weitere Stellschrauben, die Einfluss auf das Ergebnis haben – die sind aber allesamt nicht im Sensitivitätenbericht benannt.
2. Um die Wirkung der geannten Stellschrauben zu überprüfen, muss man selbst die gesamten Simulationsannahmen und das Simulationsprogramm haben. Weder das eine, noch das andere geschweige denn beides zusammen ist für den Bürger verfügbar.
3. Die Übertragungsnetzbetreiber behaupten im ersten Sensitivitätenbericht, dass eine dritte Sensitivität betrachtet werden muss: Verschmutzungszertifikate. Das ist ein klarer Hinweis, dass der Bericht faktisch nur selektiv auf eine viel zu kleine Zahl von Sensitivitäten verkürzt ist.
Jetzt sind die Verschmutzungszertifikate aufgenommen worden und man erklärt nun genau nicht, welche Maßnahmen aus dem Netzentwicklungsplan sich damit als fraglich identifizieren lassen (“nicht maßnahmenscharf”).
Wozu, wenn nicht “maßnahmenscharf” sollen denn bittesehr die ganzen Modelle gut sein?
4. Das Dokument ist in Aufmachung, Konsistenz und Inhalt inkonsistent.
Murks verdient keine weitere Aufmerksamkeit.
MfG,
Robert Wittmann