Koh­le und Deindustrialisierung

© bibi - Fotolia.comNeben einer Pro-Koh­le Argu­men­ta­ti­on wird von eini­gen Poli­ti­kern immer wie­der ein Stich­wort genannt, wel­ches geeig­net ist, Angst und Schre­cken zu ver­brei­ten: Deindus­tria­li­sie­rung.

Zu die­sen Poli­ti­kern gehö­ren neben dem Noch-EU-Kom­mis­sar für Ener­gie, Gün­ther Oet­tin­ger, auch Han­ne­lo­re Kraft, Minis­ter­prä­si­den­tin im Koh­le­land NRW, ihr Bera­ter und IG BCE-Chef Micha­el Vas­si­lia­des sowie Bun­des­en­er­gie­mi­nis­ter Sig­mar Gabri­el. Ein wei­te­rer Ver­fech­ter die­ser Ansicht ist Jochen Homann,  nicht direkt Poli­ti­ker, aber Prä­si­dent der Bundesnetzagentur.

So berich­tet die „Welt“, dass Gün­ther Oet­tin­ger zuneh­mend eine Deindus­tria­li­sie­rung Deutsch­lands im Fal­le rück­läu­fi­ger Inves­ti­tio­nen in der deut­schen Indus­trie wegen zu hoher Strom­prei­se sieht. Das Blatt bezieht sich auf ein Inter­view Oet­tin­gers  mit der „Bild am Sonn­tag“. Er befür­wor­tet vehe­ment eine Nut­zung der Braun­koh­le aus der Lau­sitz und dem Rhein­land und meint, dass Deutsch­land auf den der­zei­ti­gen Anteil von 45% Strom aus Braun­koh­le noch lan­ge nicht ver­zich­ten kann.

Mitt­ler­wei­le steht fest, dass Gün­ther Oet­tin­ger nicht Ener­gie­kom­mis­sar blei­ben wird.

Han­ne­lo­re Kraft hält sich zwar in letz­ter Zeit zurück mit Äuße­run­gen zur Deindus­tria­li­sie­rung,  sag­te jedoch im Novem­ber 2011 im „Braun­koh­le­fo­rum“:

Bei der gesetz­li­chen Aus­ge­stal­tung des geplan­ten Ener­gie­um­stiegs muss Sorg­falt vor Schnel­lig­keit gehen. Mit der nord­rhein-west­fä­li­schen Lan­des­re­gie­rung gibt es weder eine Deindus­tria­li­sie­rung noch einen über­eil­ten Aus­stieg aus der Koh­le. Dazu ist es aber wich­tig, dass die Koh­le ihre tech­no­lo­gi­schen Poten­zia­le für den Kli­ma­schutz nutzt und aus­schöpft. Nach einem Aus­stieg aus der Kern­ener­gie brau­chen wir effi­zi­en­te Kohlekraftwerke.“

Kraft lei­te­te für die SPD in 2013 die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen auf Bun­des­ebe­ne für die Grup­pe „Ener­gie“. Seit sie 2010 ihr Amt als Minis­ter­prä­si­den­tin in NRW ange­tre­ten hat, sind 8 neue Koh­le­kraft­wer­ke in Bau  oder Pla­nung gegan­gen. Ener­gie­mi­nis­ter ist jetzt Sig­mar Gabri­el, SPD.

Micha­el Vas­si­lia­des ist als Chef der ein­fluss­rei­chen IG Berg­bau-Che­mie-Ener­gie (BCE) Koh­le­fan schlechthin.

Die „Wirt­schafts­wo­che“ skiz­ziert ihn als einen gut ver­netz­ten Part­ner von Indus­trie und Arbeit­neh­mern und zitiert ihn: „Wir kön­nen nicht gleich­zei­tig aus Kern­kraft und Koh­le aus­stei­gen. Da der Atom­aus­stieg nun mal beschlos­sen ist, kann Deutsch­land auf den Grund­last­trä­ger Braun­koh­le, den ein­zi­gen sub­ven­ti­ons­frei­en Ener­gie­trä­ger am Markt, auf vie­le Jah­re nicht ver­zich­ten. Die damit ver­bun­de­nen CO2-Emis­sio­nen müs­sen halt woan­ders ein­ge­spart wer­den.“ Vas­si­lia­des fürch­te eine schlei­chen­de Deindus­tria­li­sie­rung, aus­ge­löst durch stei­gen­de Indus­trie­kos­ten. Eine wei­te­re Aus­sa­ge von ihm sei: “Wir haben es bei den Erneu­er­ba­ren mit einer teuf­li­schen Kom­bi­na­ti­on zu tun – Welt­ret­tungs­ge­sin­nung trifft auf hohe Rendite.“Anzeige

Sig­mar Gabri­el betont immer wie­der die Not­wen­dig­keit der Braun­koh­le­ver­stro­mung, ande­ren­falls dro­he eine Deindustrialisierung.

So äußer­te er zum Bei­spiel auf der Jah­res­ta­gung  Ener­gie­wirt­schaft Ende Janu­ar 2014 in Ber­lin, dass die  Ener­gie­wen­de  das Poten­zi­al zu wirt­schaft­li­chem Erfolg aber auch zu einer dra­ma­ti­schen Deindus­tria­li­sie­rung hat. Man habe die Sys­tem­her­aus­for­de­run­gen die­ser Wen­de unter­schätzt und die Fra­ge, wie man mit dem hier­für benö­tig­ten fos­si­len Kraft­werks­park umge­hen solle.

Er habe bereits als Umwelt­mi­nis­ter gesagt, wer aus der Atom­ener­gie aus­stei­gen wol­le, kön­ne nicht zeit­gleich aus der Koh­le aussteigen.

Auch Jochen Homann befürch­tet eine Deindus­tria­li­sie­rung Deutsch­lands und meint, dass der Ruf Vie­ler nach einem raschen Ende der Koh­le­ver­stro­mung mit seriö­ser Ener­gie­po­li­tik nicht viel zu tun hat. Er sag­te auf der soeben zu Ende gegan­ge­nen  5. Jah­res­ta­gung Erneu­er­ba­re Ener­gien in Ber­lin, dass Wind und Son­ne die bis Ende 2022 weg­fal­len­den Atom­kraft­wer­ke nicht voll erset­zen kön­nen, das müs­se durch kon­ven­tio­nel­le Anla­gen geschehen.

Auf mehr Gas­kraft­wer­ke kön­ne man wegen der Ukrai­ne-Kri­se auch nicht setzen.

Was bedeu­tet dies alles für die Men­schen in Deutschland?

Muss man die Befürch­tun­gen so vie­ler Ent­schei­dungs­trä­ger ernst nehmen?

Bedeu­tet Deindus­tria­li­sie­rung, dass Deutsch­land nach einem Aus­stieg aus der Koh­le­ver­stro­mung zu einem Agrar­land ohne Indus­trien und ohne Wachs­tum und Wohl­stand wird?

Müs­sen wir uns vor­stel­len, dass Fabrik- und Pro­duk­ti­ons­an­la­gen demon­tiert wer­den und ver­wüs­te­te, lee­re Land­schaf­ten hin­ter­las­sen? End­zeit­stim­mung also?

Der Begriff Deindus­tria­li­sie­rung wird im renom­mier­ten Gab­ler Wirt­schafts­le­xi­kon erklärt.

Danach han­delt es sich um einen Begriff aus der Wirt­schaft, der ein Mus­ter des wirt­schaft­li­chen Struk­tur­wan­dels bezeich­net. Die indus­tri­el­len, pro­du­zie­ren­den Wirt­schafts­zwei­ge ver­lie­ren im Ver­gleich zu den Wirt­schafts­zwei­gen des Dienst­lei­tungs­sek­tors rela­tiv an Bedeutung.

Es gibt Wirt­schafts­the­sen, die besa­gen, dass nur ein hoher Anteil an Pro­du­zie­ren­dem Gewer­be Wohl­stand und Wachs­tum  bringt. Die­se The­sen sehen einen Struk­tur­wan­del in der Wirt­schaft hin zu einem höhe­ren Anteil an Dienst­leis­tun­gen als Deindus­tria­li­sie­rung und somit als Gefahr für  Wachs­tum und  Wohlstand.

Die­se The­sen gel­ten mitt­ler­wei­le als ver­al­tet, da sie auf einer über­hol­ten Vor­stel­lung des Begriffs „Dienst­leis­tung“ basieren.

Seit Mit­te der 1970er Jah­re geht in hoch­ent­wi­ckel­ten Volks­wirt­schaf­ten wie der deut­schen der Trend dahin, dass Dienst­leis­tun­gen, beson­ders die tech­ni­schen und Finanz­dienst­leis­tun­gen zuneh­men und  seit­dem im glei­chen Maß zum Wachs­tum bei­tra­gen wie Unter­neh­men des Pro­du­zie­ren­den Gewerbes.

Zu einer Deindus­tria­li­sie­rung und Ver­min­de­rung unse­res Wohl­stan­des hat das  erwie­se­ner­ma­ßen nicht geführt.

Was soll man also von den Befürch­tun­gen einer dro­hen­den Deindus­tria­li­sie­rung halten?

Hän­gen die oben genann­ten Ent­schei­dungs­trä­ger an über­kom­me­nen Vor­stel­lun­gen, die aktu­ell längst wider­legt sind?

Sol­len damit Schre­ckens­sze­na­ri­en für die Zukunft auf­ge­baut wer­den, um die Koh­le­ver­stro­mung zu rechtfertigen?

Kann nicht gera­de das Fest­hal­ten an über­hol­ten Struk­tu­ren unser Wachs­tum und unse­ren Wohl­stand gefähr­den? Gilt nicht mehr der Spruch „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“?

Oder sol­len  zukunfts­wei­sen­de Ent­wick­lun­gen wie z. B. Spei­cher­tech­no­lo­gien für Wind- und Son­nen­en­er­gie mög­lichst lan­ge auf­ge­hal­ten wer­den, weil eige­ne Inter­es­sen oder die Inter­es­sen ein­fluss­rei­cher Lob­by­is­ten dage­gen stehen?

Die Sor­ge um unse­re flo­rie­ren­de Volks­wirt­schaft kann wohl kaum der Anlass zu sol­chen Aus­sa­gen sein, denn die wird allent­hal­ben als „robust“ bezeich­net und steht top da. 

Fotos: bibi – Fotolia.com

3 Gedanken zu „Koh­le und Deindustrialisierung“

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