von Dörte Hamann <bi-leinburg@stromautobahn.de)
Verwunderung und Verunsicherung in den Bürgerinitiativen im Trassenland: Bei zahlreichen Mitgliedern ist ein Schreiben der Bundesnetzagentur eingegangen, mit der Bitte um Auskunft. „Die Befragung dient zum einen der Optimierung des Beteiligungsverfahrens der Bundesnetzagentur und zum anderen der Abbildung der Einstellungen von Bürgern, Unternehmen, Vereinen und Behörden zum Stromnetzausbau im Allgemeinen“, so das offizielle Anliegen. Durchgeführt wird sie durch das Centrum für Evaluation (CEval) an der Universität des Saarlandes.
Soll man an so etwas teilnehmen oder es lieber ignorieren? Interessant ist es sicherlich, was die Bundesnetzagentur zur Einstellung der Bürger zum Stromnetzausbau wissen möchte. Also kann man ja mal schauen, was die da so fragen, zumal uns von der Bundesnetzagentur versichert wird: „Ihre Antworten auf die Fragen des Fragebogens werden entsprechend dem Bundesdatenschutzgesetz vertraulich behandelt und nur zum Zweck der Evaluation des Konsultationsverfahrens der Bundesnetzagentur verwendet.“ Wir müssen also keine Angst haben, dass es irgendwelche Nachteile mit sich bringt, wenn wir auf ein paar Fragen Auskunft geben.
Ist Stromnetzausbau das Gleiche wie Gleichstromtrassen-Neubau?
Technisch gesehen ist diese Befragung wohl eher eine Nullnummer, denn es wird in den Fragestellungen meist nicht unterschieden zwischen dem Ausbau des vorhandenen Verteil- und Übertragungsnetzes und dem Neubau der HGÜ-Trassen, die ein Pilotprojekt von nie dagewesenen Dimensionen für Deutschland und Europa darstellen und gegen den sich die Bürgerinitiativen des Aktionsbündnisses wenden. Immerhin kann man zu Beginn angeben, auf welche Themen sich die eigene Stellungnahme zum Netzentwicklungsplan Strom 2024 bezogen hat („Verwendung und Umfang von Pilottechnologien (z.B. HGÜ-/ HTLS-Technologien“). Trotzdem vermisst man im weiteren Verlauf der Befragung diese Differenzierung. Wie kann man als Gegner von Gleichstromtrassen eine sinnvolle Antwort geben, ob man einen Bedarf für erwiesen ansieht, wenn immer wieder pauschal vom „Ausbau des Stromnetzes“ die Rede ist? („Es besteht kein notwendiger Bedarf für die geplanten Stromnetztrassen.“ – „Vom Ausbau des Stromnetzes profitieren vor allem Wirtschaftsunternehmen, die am Ausbau des Stromnetzes beteiligt sind, aber nicht die Bürger.“ usw.)
Auch die weiteren Fragen und deren Formulierungen lassen einen ernsthaften wissenschaftlichen Hintergrund der Befragung bezweifeln:
Frage: „Im Folgenden bitten wir Sie, einige weitere Aussagen zu bewerten, die Ihre Einstellung bezüglich der Wirkungen des aktuellen Stromnetzausbaus betreffen“. Eine mögliche Antwort: „Durch den Stromnetzausbau kommte es gesundheitlichen Beeinträchtigungen elektromagnetische Felder. [sic!]“. Mal abgesehen davon, dass die Antwort aufgrund der schauderhaften Grammatik schon fast nicht mehr zu verstehen ist: Diese Felder sind bei Gleichstrom und Wechselstrom unterschiedlich. An den Leiterseilen der HGÜ kommt es wegen der dort herrschenden hohen elektrischen Feldstärke zu Mikroentladungen (Koronarentladungen) und zur Ionisation der Luft. Bei den Gleichstromleitungen entsteht an den Leitern eine größere Raumladungswolke geladener Teilchen (z. B. Ionen) als bei den bisherigen Wechselstromleitungen. Offenbar ist hier wieder nur von Wechselstrom die Rede – was also antworten?
Definiere „aktiver“ Trassengegner
Offensichtlich geht es bei der Befragung mitnichten um technische Kritik am Trassenbau, was eine Mitstreiterin in einer Mail sehr treffend formuliert hat: „Ja, so ein Quatsch. Sollen sie halt einfach fragen, wer man ist und ob man eine Flex zu Hause hat.“
Wer man ist, lässt sich mit den abschließenden Angaben leicht feststellen; bitte nur noch kurz die Anfangsbuchstaben vom Namen des Vaters, der Mutter und dem eigenen Namen angeben, den Anfangsbuchstaben der Straße, ob Mann oder Frau, Geburtsjahr und die ersten drei Stellen der Postleitzahl – vollkommen anonym also, kein Problem.
Dazu soll im Fragebogen beantwortet werden, wie viele Trassengegner man selbst kennt und wie man deren Verhalten einschätzt:
„Wie viele Personen sind Ihnen aus Ihrem direkten Umfeld (Familie, Freunde, Bekannte) bekannt, die
- … den Stromnetzausbau befürworten?
- … dem Stromnetzausbau kritisch gegenüber stehen?
- … von Ausbaumaßnahmen des Stromnetzes direkt betroffen sind?
- … aktiv versuchen Einfluss auf Entscheidungen im Stromnetzausbau auszuüben?
- … verhindern wollen, das geplante Stromnetzausbaumaßnahmen umgesetzt werden?“
Zunehmend kommt man als Teilnehmerin der Befragung ins Grübeln, ob es zukünftig tatsächlich nur die Bundesnetzagentur interessieren wird, wenn man darüber Auskunft gibt, wie man sich zum „Ausbau des Stromnetzes im Allgemeinen“ zu verhalten gedenkt. Zur Auswahl steht:
- Grundsätzlich akzeptiere ich den Ausbau des Stromnetzes in Deutschland.
- Den Ausbau des Stromnetzes in Deutschland finde ich nicht gut.
- Sollte der Ausbau des Stromnetzes in Deutschland weitergeführt werden, würde ich dagegen öffentlich protestieren.
- Sollte der Ausbau des Stromnetzes in Deutschland weitergeführt werden, würde ich versuchen dies aktiv zu verhindern.
Was genau dürfen wir denn unter der Formulierung „aktiv“ verstehen? Werden TeilnehmerInnen automatisch dem (eigentlich als Demo-Satire zu verstehenden) „Sprengkommando Frankenland“ – zuletzt unterwegs in beim Leupoldsgrüner Trassenfest – zugeordnet, wenn sie hier ein „Ja“ setzen?
Diese Frage mit genau dieser Auswahl an Antworten erscheint in nur leicht abgewandelter Form sage und schreibe drei Mal, nur dass es schrittweise konkreter wird mit der persönlichen Betroffenheit: „Grundsätzlich akzeptiere ich neue Freileitungen in der Nähe meines Wohnsitzes.“ – Ja, geht klar, oder nein, wird bekämpft?
Die Gefühlslage eines Trassengegners / einer Trassengegnerin
Für die Sensiblen unter den Befragten wird es dann auch noch gefühlvoll – es ist erlaubt, sich voll und ganz seinen Emotionen hinzugeben und diese der BNetzA mitzuteilen. Die Frage ist: „Wie fühlen Sie sich, wenn Sie über den aktuell stattfindenden Ausbau der Stromnetze in Deutschland im Allgemeinen nachdenken?“
Die Aufgabe funktioniert so: „Lesen Sie hierfür aufmerksam jedes Wortpaar und machen Sie jeweils ein Kreuz pro Zeile!“ Dann geht es los, und man darf wahlweise und in abgestuften Stärkegraden ankreuzen, wie man gerade – und speziell wenn man das Wort „Stromnetz“ hört – so drauf ist: Glücklich oder deprimiert, verärgert oder erfreut, besorgt oder gelassen, zufrieden oder unzufrieden, angespannt oder ruhig, gleichgültig oder engagiert. Gleiches wird mit der Frage wiederholt, wie man sich fühlt, wenn neue Leitungen in der näheren Umgebung des eigenen Wohnsitzes gebaut würden.
Warum genau die BNetzA die Gefühlslage der Betroffenen kennen muss, um die Bedeutung der Konsultationsergebnisse besser erfassen zu können, bleibt wohl ihr Geheimnis.
Das Demokratieverständnis eines Trassengegners/ einer Trassengegnerin
„Im Folgenden bitten wir Sie, einige Aussagen zu bewerten, die die politischen Entscheidungsprozesse in Deutschland betreffen“:
- Den Politikern sind unsere Probleme doch egal.
- Egal, welche Partei an der Regierung ist, es ändert sich in der Politik doch nichts.
- Einzelne Politiker und Parteien machen sicherlich manches falsch, aber im Großen und Ganzen ist unser demokratisches System in Ordnung.
- Die Bürger in Deutschland werden angemessen an politischen Entscheidungen beteiligt.
- In Deutschland gibt es genügend Anlässe, bei denen Bürger in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden
Raffiniert, wie hier die von der Demokratie enttäuschten Radikalen unter den Trassengegnern enttarnt werden sollen. Da möchte man doch sicherheitshalber noch mal betonen, dass weder Atomkraft-. Fracking‑, Kohlekraft und/oder TrassengegnerInnen die demokratischen Grundrechte dieses oder eines anderen Landes verletzen, indem sie die Bewahrung der Umwelt und des Lebensraumes einklagen. Der längere Hebel, an dem die Energielobby und ihre Politiker sitzen, belegt nicht die Rechtmäßigkeit ihres Handelns, mit dem sie die Energiewende verhindern.
Viel Aufwand also, um was genau herauszufinden? Ob es Wackersdorf 2.0 tatsächlich geben könnte, wenn die Politik darauf besteht, den Stromhandel mit Kohle- und Atomstrom europaweit weiter auszubauen? Um den Politikern genauer mitteilen zu können, ob dies noch das überschaubare bürgerliche Protestverhalten ist, bei dem auch gerne mal „Seehofer der Rücken gestärkt“ wurde, oder ob schon finstere, zu allem entschlossene Profi-Anti-Atomstrom-Protestler am Werk sind? Zur Erinnerung: Vor Seehofers Moratorium im Februar 2014 hat es sich auch ganz gut ohne beziehungsweise gegen die CSU und alle anderen Trassenpolitiker egal welcher politischer Zugehörigkeit demonstriert, das wird selbstverständlich nach dem desaströsen Energiegipfel mit dem peinlichen Ausgang für Seehofer und Gefolge nicht anders sein. Aber dafür hätte es diese Befragung nicht gebraucht.
Uns wäre mit einer angemessenen Reaktion auf die zahlreichen Kommentierungen des Netzentwicklungsplans deutlich mehr geholfen. Allein in unserem direkten Umfeld wissen wir von rund 36.000 Stellungnahmen. Dazu kommen sicher noch viele weitere allein zum Korridor D. Aber auch zum Suedlink dürften einige tausend Stellungnahmen versandt worden sein. Auf unsere Anfrage nach der Anzahl der Stellungnahmen wurde von der Bundesnetzagentur jedoch die abschließende Antwort erteilt, dass es “über 33.000“ waren – was schlichtweg falsch ist, weil es eine maßlose Untertreibung sein muss.
In einem Schreiben hat sich die BI Leinburg deshalb mit diesen Worten für die Teilnahmeaufforderung zur Evaluation bei der Bundesnetzagentur bedankt: „Vielen Dank für die Einladung, weiter Zeit zu verschwenden!“
Link zur Befragung (bis fast zum Ende anschauen, beantworten und dann nicht abschicken ist auch eine Option…):
Treffender kann man es nicht analysieren und formulieren. Danke!